Schottland | Ostern '05
Osterferien auf der Isle of Mull
In den Osterferien wurde auch in London das Wetter langsam frühlingshaft. Ich dachte schon länger daran endlich diese Stadt zu verlassen und mal auf Reisen zu gehen. Aber ich fühlte mich auch irgendwie gelähmt, ist der jugendliche Übermut schon soweit geschrumpft, dass ich ohne reservierte Vollpension nicht mehr losfahren kann? In diesem Zweifel spitzte sich die Situation zu, bis Helm(uth) mir erklärte, dass es in Briten total normal wäre zu trampen, dass man nie lange warten muss um einen Lift zu bekommen, und das macht doch fast jeder. Auf diesem Anstoß hin machte ich mich auf in die Library und besorgte drei " Rough Guides", was recht gute Reiseführer sind. Einen für Devon / Cornwall, einen für Wales und einen für Scotland . Wer etwas in der Geographie bewandert ist merkt schon, dass diese Regionen nicht grade nebeneinander liegen. Kurz gesagt, ich hatte keinen Plan wo ich eigentlich hin wollte. Um mich etwas flexibler zu machen brauchte ich noch einiges Equipment, da ich mit Schlafsack und Isomatte nicht wirklich gewappnet war. So besorgte ich in nächsten DIY Shop eine 3x4 m Abdeckplane als Behausung. Ein Küchenmesser und etwas Strick sollten auch nicht fehlen. Als ich den Wetterbericht anschaute, besonders den Schottische, rüstete ich schnell noch mit ein paar Haevy Duty Bin Liners auf, es sah nicht gerade sonnig aus. Dank der Globalisierung konnte ich wenigstens ordentliches deutsches Roggenvollkornbrot bei Lidl besorgen, und die altbewährten Doppelkekse haben natürlich auch nicht gefehlt.
So fuhr ich mit Dienstag den 5.4.05 mit der Tube quer durch London, um im Nordwesten am Brent Cross loszutrampen, da dort der Motorway M1 anfängt. Ich war zum Glück sehr gut gelaunt, und dass Wetter war auch schön, so konnte ich mich über den Zweifel hinwegsetzen, jemals einen Lift von einem Mitglied der Ellbogengesellschaft aus dieser Monsterstadt heraus zu bekommen. Mit einem etwas ironischen Gefühl im Bauch stellte ich mich an den Rand der riesigen Strasse, die zwischen Brücken und Roundabouts in de Betonwüste verschwindet. Ich habe es fast nicht geklaubt, dass das Auto, welches nach einer viertel Stunde anhielt mich auch mitnehmen wollte.
Ich hatte es geschafft, ich war auf der Autobahn gen Norden, hundert Meilen die Stunde, kein Stau, und das Monster London weit im Rücken. Es waren noch zwei Italiener im Auto, der eine fuhr, und sein kleiner zugekiffter Bruder saß neben ihm. Auf dem Weg zu dem emotional schwerwiegenden Fußballspiel nach Liverpool erzählten sie mir die halbe Fußballgeschichte und dass die Teams vor dreiundzwanzig Jahren das letzte Mal Gegeneinader gespielt haben, er, damals noch ein Teenie hatte die Liveübertragung der Gewaltausschreitungen mit 23 toten italienischen Fans gesehen. Diese Infos waren natürlich ganz gut für mich, denn so musste ich mich später nicht mehr als Fußballblödie outen.
Auf der M6 ging es dann vorbei an Birmingham bis vor die Tore von Liverpool und Manchester. Da ich erst um 12 in London Losgekommen bin war es schon nicht mehr allzu früh, und die Kälte des Nordens machte sich schon bemerkbar. Auf der Raststätte war fast nichts los, und die ganzen Fußballfans waren ja auf dem falschen weg für mich. Nach einer Stunde nahm mich ein Geschichtsprofessor ein paar Meilen durch das urbane Chaos der zwei Städte mit. Mit ihm habe ich mich sehr gut unterhalten, und neben bei meinte er dann, dass er der erste southeastasian Councilor in Illford war und dann noch mal in einem Stadtteil von London war; sozusagen eine Politikberühmtheit. Allerdings setzte er mich mal wieder an einem der denkbar beschissensten Plätze ab, wo zwischen Autobahnen und deren Zubringern überall Schilder standen, auf den ein durchgestrichener Fußgänger zu sehen war. Die Leute meinen es halt gut wenn sie für einen per Navigationssystem bis an den größten Anschluss Fahren.
Mit ihrem Unverständnis im Gesicht erklärten mir die Autofahrer auch so langsam, dass Trampen hier nicht wesentlich normaler als in Deutschland ist. Zum Glück wagte es einer an dieser Stelle noch mal anzuhalten, und am Ende war ich doch noch in einer ganz akzeptablen Zeit weggekommen. Ein richtiger easy going Typ, der mir die ganze Zeit von seiner Studentenzeit erzählte, und dass er es hinbekommen hatte quer durch London zu Trampen, um nicht, wie ich, mit der Tube nach Brent Cross fahren zu müssen. Aber er wusste auch dass diese Zeiten vorbei sind, und wünschte mir viel Glück als er mich bei Lancaster wieder an eine Raststätte setzte.
Dieses Glück hatte ich dann auch, denn es war schon fast dunkel und an der Raststätte war so gut wie niemand. Die paar Wenigen schauten alle nur Mitleidig auf mein Schild, auf dem groß NORTH stand. Aus der M1 hatte ich mal eine M6 gemacht, aber die Richtung war immer die gleiche, und dass brachte mich immer mehr in Zweifel, da ich inzwischen schon meine Kapuze aufgesetzt hatte. Was wollte ich eigentlich im Norden? In diesen Minuten beschloss ich, es ist nichts mit Highlands, die Illusion von Gastfreundlichkeit und mal sehen wer mich wo hin nimmt gab ich auf. Es war kalt und ich war alleine an dieser fast leeren Autobahn. Aller paar Minuten kam ein LKW, aber die beachtet man eh nicht. So reagierte ich erst beim zweiten Ruf eines Truckers, wirklich, er bot mir einen Lift an. Man hegt da ja eine Menge Vorurteile, und als ich bei ihm ankam zog er auch ein sehr komisches Gesicht. Ich machte mir nicht viel daraus, schämte mich mal wieder meinem deutschen Akzent, und hatte nur den warmen Sitz im Kopf.
Üblicher Gesprächsanfang, ich gab mir beim sprechen etwas Mühe, aber erzählte natürlich auch wo ich her komme und warum ich hier bin. Er schien damit kein weiteres Problem zu haben. Nach geraumer Zeit löste er das Geheimnis des verdutzten Gesichtes beim Einsteigen. Er sagte, dass er über meinen Akzent erschrocken ist, da ich so posh rede, und er echt keine Lust hat so einen middleclass snob in seinem Truck zu haben. (Poshenglish ist das Englisch der gehobenen Schicht in England, mehr so um London rum anzutreffen, oder halt im Telly.) Ich konnte das ganze dann eher als Kompliment verbuchen. Bill war mit abstand der netteste Mensch den ich auf der Strasse getroffen habe. Nicht zuletzt hat er sogar mal eine weile in Deutschland gewohnt, und ständig durchgefahren. "Immer wenn ich zurück kam und nach Deutschland rein fuhr hatte ich das Gefühl zuhause zu sein." Er ist schon allein 15 Jahre immer nur zwischen England und der Türkei gependelt; jaja so kann's gehen.
Auf jeden Fall trennten sich unsere Wege auf der letzen Raststätte vor Glasgow, obwohl wir gern noch ein paar Meilen zusammen gefahren wären. Ich hatte vorher beschlossen so schnell wie möglich auf die Isle of Mull zu kommen, um dort Jonathan zu besuchen, obwohl ich nicht wusste ob er überhaupt da war. Ich hatte das Gefühl dass das schon klappt, und der Intellekt meinte nur: schlimmer kann es auf Mull auch nicht sein. Bill spendierte mir erstmal ein Hähnchen, um ehrlich zu sein es war ein Gummiadler, an den ich noch die ganze Nacht denken musste, aber so was isst man halt hier. Die Zeit auf dem Thron der Autobahn verging schnell, und trotz der 44 Tonnen, geladen waren hochgefährlichen Chemikalien, sind wir doch ein ganzes Stück vorwärts gekommen. Und so war es inzwischen auch Mitternacht. Nach ca. 20 Minuten war mir klar, dass ich es in dieser Raststätte nicht aushalten werde, und so traf ich die Entscheidung, welche mir eine der abartigsten Nächte bescheren sollte. Ich ging raus, es nieselte inzwischen, und versuchte hinter dem Zaun des Rastplatzes einen Schlafplatz zu finden. Doch irgendwie kam gleich Wasser, ein See oder Fluss war es wohl. Alles war in einem orangenem Licht der Straßenbeleuchtung, es bildete sich langsam Nebel, und ein paar Vögel machten krach. Der Boden war schwammig, alles voller solchem Schilfgras, und es regnete inzwischen richtig.
Ich machte keine Anstallten so was wie ein Zelt aus meiner Plane zu bauen, ich sollte einfach nur schlafen. So band ich sie zu einem großen Schlauch zusammen, schob alles hinein, wühlte mein Schlafzeug raus, und war noch gespannt ob so etwas funktioniert. Doch der Regen war neben der Autobahn und den Tieren ganz schön laut, und von innen versuchte mich mein Gummiadler am einschlafen zu hindern. Immer wenn ich mal eingeschlafen war wachte ich wieder auf, da mit die klitschnasse Plane im Gesicht lag. Es war richtig warm, so fühlte ich mich wohl, doch es wurde langsam immer nässer. Besonders der Hinblick auf die nächste Nacht bereitete mir sorgen, denn einmal raus aus meinem Mikrotropenklima, ist in wenigen Minuten alles ein nasser Pamps. Es hörte zum Glück auf zu regnen und so stand ich bei Zeiten auf, was mit Abstand die ekeligste Angeleigenheit war. Nun sah ich auch dass das Wasser nicht nur von oben durch die Plane gekommen war, sondern ich in einer Art See lag, denn durch das Gewicht hat es alles Wasser des Bodens durch die Plane gedrückt.
Ich trennte Trockenes und Nasses in verschiedenen Mülltüten, stopfte alles in den Rucksack und stellte mich wieder and die Strasse. Da ich eine ganz spezielle Route durch die Stadtautobahnen von Glasgow wollte, um mit einem mal dran vorbei zu kommen und nicht in der Stadt hängen zu bleiben, hatte ich von vorn herein schlechte Karten. Aber es kam ohne hin fast kein Auto und so stand ich eineinhalb Stunden, aber dafür kam ich wenigsten punktgenau an.
Nun war ich hinter Stirling, was so ziemlich die letzte größere Stadt ist. Ich bekam schnell einen Lift, der mich ein ganzes Stück mitnehmen konnte. Nach einer Weile fahrt in die Highlands fiel das Thermometer auf zwei Grad Celsius ab. In jedem Tal war ein anderes Wetter, aber in erster Linie war es nass. Irgendwo zwischen diesen verschneiten Bergen teilte sich die Strasse, und ich hätte aussteigen müssen. Aber ohne jedes Hilfsmittel der Zivilisation mich, auf unbestimmt lange Zeit, diesem Naturschauspiel auszusetzen, war mir dann doch zu hart. So blieb ich als Zuschauer in dem warmen weichen Autositz und fuhr einen sehr großen Bogen durch Schottland, bis ich an der Westküste ankam. Endlich wieder auf Meereshöhe, und somit in etwas freundlicheren Temperaturen, wartete ich, um einige Meilen die Küste entlang nach Oban zu gelangen. Das erste Mal, das ich gen Süden fuhr, und das erste Mal, das mich zwei etwa gleichaltrige locals mitnahmen.
In Oban erreichte ich gerade die 2 pm Ferry nach Craignure , Isle of Mull. Dort traf ich Ben, er arbeitet gerade freiwillig auf Iona, der kleinen Insel vor Mull, und er lud mich auch ein, mal bei ihm im Kloster vorbei zu kommen. An dieser Stelle kann ich schon mal vorwegnehmen, dass ich das leider nicht geschafft habe.
Auf Mull war ich sofort in dieser anderen Zeitdimension, wenn man es so nennen darf. Mit dem Bus die single lane road entlang, Vulkanfelsen und Meer. Alles in einem gelblich braungrünen Farbton und ab und zu mal ein paar Schafe. Die 25 Meilen Fahrt dauert so auch ihre gute Stunde und plötzlich war ich auf der Leob Croft, und hatte das Gefühl, dass mein letzter Besuch nicht lang zurückliegt. Zu meiner großen Freude waren Jonathan und Ann da, und auch Sarah mit ihren vier Kindern, was ich überhaupt nicht wusste. Ich war herzlich willkommen, bekam sogar gleich mein eigenes Zimmer mit blick übers Meer zum bekannten Fossil Tree hin. Das Croftleben nahm seinen Lauf und eh ich mich versah arbeitete ich schon wieder mit. Da das Wetter weiterhin sehr durchwachsen war hatte ich keine Lust loszutrampen, besonders nicht mit der Aussicht, dann wieder in meiner Plastefolie hausen zu müssen. Die Besonderheit des Wetters ist, dass man alle vier Jahreszeiten an einem Tag hat, und wenn man gerade im "Winter" auf einen Lift warten muss, könnte es unangenehm werden. So gingen die Tage dahin, erst machte ich bisschen Innenausbau, unter anderem ein Gartentor draußen, und dann ist Jonathan nach Zypern geflogen. So zog ich in sein Haus, und tischlerte noch drei Tage ein bootrac zusammen. Mit all den kleinen Scherzen wie z.B. mit dem Auto Algen vom Ufer hohlen und dann samt Anhänger das ganze zu einer halben Rallyfahrt ausarten zu lassen um wieder hoch zu kommen, verging die schöne Zeit sehr schnell. Dank einigen Filmabenden und der Poetrynight in Bunessen usw. hatte ich eine sehr entspannende Zeit. An dieser Stelle sie vielleicht noch erwähnt, dass ich bis auf den Bergrücken gestiegen bin, und trotz Sicht auf zwei Küsten gab es kein Handynetz. Somit war auch nicht so klar was ich noch machen werde, und so machte ich mich einfach auf, mit dem groben Ziel Süden.
Daraus ist dann nicht viel geworden, da ich von Oban aus eine lange Schottland Besichtigungstour bis an die Ostküste bei Edinburgh gefahren bin. So kam ich wenigstens noch an den berühmten Brücken vorbei. Aber da ich direkt vor Edinburgh an einer Bushaltestelle zwischen großen Strassen und Autobahnen stand, habe ich beim dritten Bus nach Glasgow die Nerven verloren und bin einfach mitgefahren. Nachher habe ich festgestellt, dass ich zwar nur 20 Minuten gestanden hatte, dass war halt mehr so eine Affekthandlung, und damit hatte ich aller Tramperei den Laufpass gegeben, da von Anfang an klar war, dass ich aus Glasgow nicht nochmal auf die Autobahn komme. So hatte ich noch eine paar Stunden in Glasgow, in denen ich noch probierte die Möglichkeit eines Besuches in Südengland auszukundschaften, was aber misslang. Und so nahm ich 10pm den Bus nach London Victoria. So war das Problem der Übernachtung auch gelöst, und zu meiner Überraschung kamen wir erst früh um Sieben in London an. Zurück in dem gerade anlaufenden Geschäftstreiben der Stadt, nahm ich die Tube nach Hause.






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