Rumänien | Sommer 2001
Fagarasch und Schwarzes Meer
Es ist nun schon eine geraume Zeit vergangen, so dass es mir nicht mehr so leicht fällt einen ausführlichen Reisebericht zu schreiben. Wie es wahrscheinlich der ein oder andere kennt, bleiben bestimmte Details und Anekdoten besonders gut in Erinnerung, andere dagegen verschwinden fast vollständig aus dem Gedächtnis.
Auf jeden Fall sind wir mir dem Zug über Prag und Budapest nach Braşov in Rumänien gefahren. Den Rucksack voller Essen kamen wir an und wurden durch eine Reihe glücklicher Umstände und die Hilfe sehr netter Menschen von ein paar Bussen in das letzte größere Dorf am Fuße des Fagarasch - Gebirges gefahren. Das einzige Fünfmarkstück hatte uns ein Busfahrer gewechselt und sich den Fahrpreis oder auch mehr behalten, auf jeden Fall standen wir nach Mitternacht mitten in Rumänien in einem kleinen Dorf und begannen mit umgetauschten 2,50 DM in der Tasche unsere Wanderung. Es war überraschend wie schnell wir dorthin gekommen waren, da wir den letzten Zug verpasst hatten. Es war aber noch erstaunlicher, dass wir überhaupt angekommen waren. Wir hatten den Namen des Dorfes auf einen kleinen Zettel geschrieben, da wir ja nicht wussten wie man ihn spricht, und vor dem Bahnhof Leuten gezeigt, weil wir nicht erkennen konnten wie man Busfahrkarte kaufen kann. Eine Frau gab uns eine Karte und schob uns in irgendeinen Bus der gleich losfuhr. Die Leute darin wunderten sich über unser Reiseziel und mit Hilfe eines englisch sprechenden Studentenpaares berieten viele, wie wir dorthin kommen könnten, da der Bus nicht dorthin fuhr. An der Endstation tauschte uns der Busfahrer das schon erwähnte Geld und irgendwie war es möglich genau über diesen Umweg, auf den uns die unbekannte Frau geschickt hatte, noch einen anderen Bus zu bekommen der uns in das Dorf brachte.
Es war eine herrlich warme Sommernacht mit Vollmond und wir schliefen kurz hinter dem Dorf auf einer Wiese nach langer Reise ein.
Der nächste Tag war ein langer Anmarsch durch die Rumänischen Dörfer und wir stiegen langsam bergauf. Am zweiten Tag sollte es mit dem schönen Wetter bald vorbei sein. Mit zunehmender Höhe wurde es regnerischer. Und plötzlich kam ein Gewitter mit starkem Hagelschlag, so dass wir auf der Stelle in das nicht mehr fertig aufgebaute Zelt flüchten mussten. Alles war Nass, überall lag Eis und die Temperatur war unerträglich gesunken.
In diesem Zustand begannen wir unsere Kammwanderung, die zwölf Tage dauern sollte. Charakteristisch für diese Zeit waren die immer nassen Klamotten. Wenn man einen guten Tag hatte waren die Schuhe gegen Nachmittag trocken gelaufen. Doch gegen Nachmittag begann es meist auch zu regnen. Wir hatten aus Gewichtsgründen nur ein paar Wechselsocken mit, doch konnten wir es keinen Morgen übers Hertz bringen die frische Socke in den nassen Schuh zu stecken.
Grinja, ein weißes, reudiges Hündchen ist uns im letzten Dorf nachgelaufen. Wir haben es mit in die Berge genommen. Die erste Nacht verbrachten wir in einer dreckigen Blechhütte. Grinja blieb draußen im Regen und veranstaltete ein fürchterliches Heulkonzert. Es kamen immer wieder große Schäferhunde, halbe Wölfe und brachten uns in Bedrängnis. Dafür machten wir anfangs auch Grinja verantwortlich und versuchten sie mit fliegenden Steinen von uns fern zu halten.
Wir steigen ein Stück ab, um bei dem Unwetter einen besseren Zeltplatz zu finden. Grinja lag zitternd an einen Stein gekauert im Schneeregen. Sie rupfte sich das Fell (warscheinlich Winterfell) und kaute auf einer Wurstpelle herum, denn wir wollten ihr auf keinen Fall Essen geben. Grinja wurde ursprünglich (hässlicher) Grind getauft, später stellten wir fest dass sie ein Weibchen war. Nach dieser fruchtbaren Nacht hatte sie wahrscheinlich genug und rannte immer weiter vor uns her, bis wir sie für immer aus den Augen verloren.
Der Gebirgszug des Fagarasch-Gebirges gehört zu den Karpaten und hat einen sehr markante Kamm. Auf der Nordseite fällt das Gebirge sehr steil in die Ebene des Olt-Tals ab, gen Süden läuft es seicht aus. Der Kammwanderweg ist gut zu finden. Hütten gibt es oben nicht, nur ab und zu Schutzhütten, welche schrecklich vermüllt sind. Wir zelteten fast immer, was überhaupt kein Problem war. Wasser gab es immer reichlich. Uns wurde erzählt, dass es geographisch bedingt fast immer regnet.
Unser Essen hatten wir streng rationiert im Rucksack mitgebracht. Müsli, eingeschweißtes Vollkornbrot, Nudeln, Kartoffelbrei usw., das war sehr günstig, da wir keinen Laden mehr besuchen konnten und es oft keine geeigneten Lebensmittel vor Ort gibt. Wir hatten für ca. drei Wochen Nahrung dabei, auch ein paar Powerbar-Riegel, falls es gar nichts mehr gibt.
Wir überquerten den Fagarasch, den höchsten Berg, den Negoi, zweithöchster und kamen irgendwann ans Ende des faszinierenden Kamms das Fagarasch Gebirges. Ursprünglich wollten wir noch weiter in das Retezat-Gebirge, aufgrund des Wetters gaben wir den Plan aber auf.
So stiegen wir ab, zum Glück hatten wir einen Kompass dabei, denn die Wegmarkierungen waren verschwunden. Im ersten Dorf erkundigten wir uns nach einem Bahnhof, denn wir wollten ans Schwarze Meer fahren. Im Dorf wurde jemand gesucht, der deutsch sprach, es wurde ein Auto organisiert und wir „mussten“ mitfahren, obwohl wir mal wieder keine Ahnung hatten was die Leute für einen Plan mit uns hatten. Im Scheinwerfer schwappte das Rostwasser, das das Fahrzeug fuhr.
Unterwegs hupte der Fahrer ein anderes Fahrzeug an und wir in einen Transporter umgeladen. Ob der noch weis wohin wir wollen? Irgendwann waren wir an einem Bahnhof und wir stellten fest, dass die Leute uns extra zu einer weiter entfernten großen Bahnlinie gefahren hatten, damit wir nicht so lange warten mussten. Diese zuvorkommende Freundlichkeit der armen Menschen ist sehr beeindruckend.
Unten in der Ebene, dem Olt-Tal war es sehr heiß, noch bevor unser Zug kam waren alle Sachen getrocknet. Kaum vorzustellen, dass wir vor wenigen Stunden noch nass und kalt im Gebirge waren. Wir fuhren nach Sibiu, deutsch Hermannstadt und verbrachten den Nachmittag bis der Anschlusszug nach Constanta am Schwarzen Meer fuhr.
Natürlich wollte der Schaffner noch Geld für irgendwelche Reservierungen haben und die Frau in unserem Abteil fügte beim Übersetzten noch geschickt mit an, dass der Schaffner gesagt hat es sei verboten die Schuhe auszuziehen und wir sollten sie sofort wieder anziehen. Es muss bestialisch gestunken haben, wir hatten immer noch die gleichen Socken an.
Auf unserer großen Karte hatten wir uns für die Küste nördlich von Constaţa entschieden. In Constanţa selbst war die Küste eher industrialisiert. Wir machten uns wenig Sorgen und wanderten in der brütenden Hitze aus der Stadt heraus. In den Randgebieten, Siedlungen aus kleinen Hütten, ohne befestigte Straßen herrschte ein anderes leben als in der Stadt. In diesen „Slums“ fragten uns die Kinder immer ob wir Amerikaner seien. Als wir kapiert hatten, dass Amerika das Land ihrer Träume war, das einzige Land das sie kannten und sie sehr gern einen Amerikaner gesehen hätten, waren wir auch manchmal Amerikaner.
Wir liefen eine Art Schnellstraße entlang, der Asphalt flimmerte in der Hitze, als ein Pferdewagen mit drei Kindern an uns vorbei fuhr. Die Kinder sprachen uns an, keine richtige Verständigung möglich, aber wir stiegen auf. Jeder gefahrene Meter war ein Meter weniger von dieser endlosen Straße in der heißen Sonne. Diese Kinder, zwei größere so ca. 10 und 12 Jahre und ein kleines „Kindergartenkind“ interessierten sich nun für uns. Immer wieder gingen überschritten sie gewissen Grenzen, und versuchten z.B. irgendwas am Rucksack, schnellten aber sofort zurück, wenn wir ihnen klarmachten dass das nicht geht. Wir hielten an, das Albi ein Foto von ihnen machen sollte. An einer Tankstelle wollten sie Geld für Essen. Da es in Rumänien üblich ist zu trampen und dabei Geld zu zahlen wollten wir ihnen auch was geben. Noch bevor wir uns versahen, hatten diese Bruschen den gesammten Stapel unsere Geldscheine in der Hand, ein paarhundertausend Lay (1DM war tauschten wir in 13.000 Lay), für uns also nicht wirklich viel Geld. Wir äußerten unseren Unmut und zu meiner Überraschung gaben sie uns fast alles wieder und zogen los sich eine Packung Eis zu kaufen. Es war einfach nur ekelig wie verklebt und verschmiert sie nach dem ausfressen diese Eiskiste waren, Löffel hatten sie natürlich nicht.
Es war einfach nicht klar ob sie nur taktlos waren, oder ob sie was im Schilde führten. Sie wollten immer unsere Pässe sehen, was wir aber vehement verweigerten. Irgendwann konnte einer doch englisch und schrie „i kill you“ wobei er anfing uns mit der Kettenpeitsche, die eigentlich fürs Pferd war, bearbeitete. Das Pferd wurde dabei ebenfalls angetrieben, sodass wir sehr schnell mitten auf der gut befahrenen Schnellstraße fuhren.
Ich beschloss nach zwei Schlägen abzuspringen. Wir sprangen ab, doch leider blieb Albis Rucksack hängen. Ich stand nun auf der Straße, während Albi sich hinten am Wagen festhielt und versucthe seinen Rucksack runterzubekommen. Dabei schlug einer der Jungen von oben auf ihn ein. Sie bogen von der Straße ab und irgendwie bekam er seinen Rucksack Rucksack runter.
Sofort hielt ein Auto an und noch bevor wir irgendwas sagen konnten war klar, dass uns die verhassten Zigeuner überfallen hatten. Wir wurden ins nächste Dorf zur Polizeistation gefahren, egal was wir dazu sagten. Es erwarteten uns mehrere Menschen, vorallem ältere Frauen, welche anfingen überall an uns herum zu zuppel und unsere Schäden zu begutachten. Ich hatte mir offensichtlich das ganze Hosenbein der kurzen Hose der Länge nach aufgerissen. Albis Strohhut war von der Kettenpeitsche schwer in Mitleidenschaft gezogen worden und wir hatten sämtliche Kratzer und ein paar Spuren der Kette.
Es war ein Reporter einer Lokalzeitung anwesend, wir wurden fotografiert und dazu benutzt, eine schöne Geschichte über die schlimmen Zigeuner zu schreiben. Alle, außer uns, wussten ganz genau, dass es Zigeuner waren.
Ich wurde ans Telefon gebeten, wo mich eine freundliche, englischsprechende Frauenstimme erwartete. Sie wollte einige Details wissen, z.B. ob wir noch Pässe hätten usw. Ich weiß bis heute nicht mit wem ich da gesprochen habe.
Der Bürgermeister höchst persönlich bot uns seine Datsche an, wir konnten zum Glück dankend ablehnen. Da wir immer nur sagten, dass wir einfach ans Meer wollten, organisierte er uns ein Polizeiauto, welches uns zum Strand fahren sollte. Sie beschlossen uns ein ein gerade stattfindendes „internationales“ Studentencamp zu fahren. Die Studenten waren ganz nett und wir bekamen sofort ein kühles Bier an der Strandbar. Wir waren natürlich sofort überall bekannt. Wir wurden im Bullenauto vorgefahren, aber auch sonst waren wir einfach zu exotisch um uns richtig zu integrieren. Wir gingen, wie alle, zum Kochen unter das schattenspendende Schilfdach. Alle werkelten mit irgendwelchen mistigen Spiritus- und Gaskochern, wir hatten ruckzuck kochendes Wasser. Alles was wir hatten wurde beäugt und bestaunt und wir hatten wirklich einige besondere Dinge, wie z.B. Hühnervolleipulver, womit man sozusagen Rührei aus der Tüte machen kann.
Einer fing an sich ganz genau für unsere Tütensuppen zu interessieren. Er war ein Leiter des Knorr Vertriebes in Rumänien und sehr erstaunt, dass es diese und jene Tütensuppe nicht in Rumänien gibt. Er nahm sich unsere leeren Tüten mit.
Mit dem Knorr-Meister und einem Flugzeugingenieur hatten wir den meisten Kontakt, wanderten in die Dörfer um Wasser und Melone zu hohlen und Bier zu trinken.
Am letzten Abend, einige fuhren schon ab, war mein Kocher und Albis Fotoapparat weg. Das war sehr ärgerlich, denn somit gibt es kaum Bilder von diesem Urlaub.
Man erzählte uns, dass irgendwelche Zigeuner immer wieder versucht hätten das Camp auszuräubern und weitere Märchen. Der Dieb meines Kochers tut mir fast leid, denn dieses Sigg-Scheißteil macht ihm sicher keine Freude, da die Dichtung bestimmt schnell kaputt gegangen ist und außerdem wird ihm das Wissen fehlen, so einen Kocher anzuwerfen.
Wir fuhren mit den Leuten zurück nach Constaţa. Zum Glück fuhr den ihr Zug eher, denn wir saßen die ganze Zeit unter einem Baum, einer spielte Gitarre und mir war vollkommen schleierhaft, ob und wann uns so ein Minibus mitnehmen würde. Ab und zu wurde gewinkt, die Autos fuhren aber immer in die falsch Richtung. Irgendwann waren wir in so einen Minibus gequetscht und fuhren zum Bahnhof.
In Bukarest mussten mussten wir eine Nacht auf dem Bahnhof verbringen. Wie schon zu unserer Ankunft in Braşov gingen uns diese Typen auf der Nerv, die ihre Hostels vermieten wollen. Einer bot uns Hilfe an und wir sagten, er solle mal herausbekommen wann unser Zug fährt. Er stellte sich am Schalter an und erklärte uns nachher, dass die Nacht kein Zug fährt, er kenne aber ein gutes Hostel ... , man wird nach Strich und faden verarscht.
Mit den Abend kamen Sicherheitsleute. Sie wiesen uns auf die Schilder hin und erklärten uns wir müssten ein paar Lay Zahlen um die Nacht im Bahnhof zu bleiben, dafür sind wir bewacht. Also zahlten wir. Drei schritte weiter kam der nächste Mob, fragte uns nach unseren Ticket für die Nacht im Bahnhof. Wir zeigten es, und sie Zogen es ein. Es ist nicht schwer zu erraten wie es weiter ging, es kamen die nächsten und wollten uns wieder ein Ticket verkaufen, Gelaber von wegen andere Halle usw. Es waren nur wenige Pfennige, wir hätten das die ganze Nacht machen können aber wir hatten kein rumänisches Geld mehr. Wir verzogen uns ganz weit hinter auf unseren Bahnsteig und hatten unsere Ruhe. Erst in Bad Schandau wurden wir wieder aus dem Zug geworfen, da unser Ticket nur bis zum Grenzbahnhof ging, wir keinen IC-Zuschlag für die letzten paar Meter zahlen wollten. Uns blieb die S-Bahn bis nach Dresden.